Der Elefant steckt in der Posaune

Neue Werke der Komponistenklasse Dresden erklangen in Hellerau.

Dresdner Neueste Nachrichten – W. Schwanebeck, 13.11.23

Nein, danke, die Violine hat erstmal genug und quittiert den Dienst. Wie jetzt? Mitten im Konzert? Dirigent Milko Kersten horcht in den Saal hinein – könnte vielleicht jemand einspringen? Dass sich tatsächlich eine versierte Bratscherin in der dritten Reihe findet, die Manuel Timmes Stück „Der Teufelsgeiger“ souverän zu Ende bringt, ist natürlich kein Zufall, sondern vom findigen Komponisten exakt so vorgesehen und vom Ensemble, dem aus drei Bläsern und drei Streichern bestehenden Klangkollektiv Opus Eins, famos in die Tat umgesetzt. Solche szenischen Kabinettstückchen gehören dazu, wenn die Komponistenklasse Dresden zu ihrem in Kooperation mit dem Europäisches Zentrum der Künste Hellerau veranstalteten Jahreskonzert lädt.

19 kleine Stücke erlebten am Samstag im Festspielhaus Hellerau ihre Uraufführung im Rahmen eines von Dirigent Kersten geistreich moderierten Familienkonzerts, bei dem die jungen Komponisten zwischendurch in kleinen Werkstattgesprächen über ihre Inspiration und ihre Methoden Auskunft gaben. Einigen genügt eine kleine Anregung aus ihrem täglichen Erleben, um Unscheinbares in kleine musikalische Geschichten zu verwandeln. So bezwingt Fanny Weber unser aller morgendlichen Störenfried, den „Wecker“, in einem pointierten Quintett, während ihr Bruder Willy ein „Gespräch“ zwischen Klarinette und Posaune eskalieren lässt (und dem Dirigenten noch das Versprechen zur versöhnenden Fortsetzung gibt).

Lewin Gödan lässt in „Schrekhaft 2“ den Leibhaftigen in Gestalt des Saxophons auf einen mit Peter und- der-Wolf-Anklängen entworfenen Spaziergänger los, während Lilly-M. Bauer mit präzisen Strichen einen berührenden „Sonnenuntergang“ malt und Linda Korndörfer mehrere Punkte auf einer selbst ausgetüftelten Landkarte zu einer kurzweiligen „Lokomotivfahrt“ verbindet. Levin Konrad Schleif beweist in seinem zarten „Schimmer“ für Violine und Cello einigen Willen zur Abstraktion, und Elias Krauße präsentiert ein dramaturgisch ausgefeiltes und sehr schmissiges „Zirkusstück“, in dem sich ein ganzer Elefant in der Posaune von Ensemble-Mitglied Johann Giesecke verbirgt. Diesem obliegt zudem mit den vom jungen Kompositionsstudenten Richard Plate stammenden, schlüssigen „3 Selbstgesprächen“ mit wechselnden Dämpfern das einzige Solostück des Nachmittags.

Auch Gieseckes Kollegen erweisen sich als glänzend aufgelegt und wissen sowohl mit den spieltechnischen Erfordernissen als auch mit den fantasievollen Einfällen jenseits der bloßen Notenzeile umzugehen – Karina Müller an der Violine und Ekaterina Gorynina am Cello genauso wie Klarinettist Daniel Rothe und Saxophonist David Brand. Bratschistin Gundula Rauterberg, erst zwei Tage vor dem Konzert für eine erkrankte Kollegin nachbesetzt, fügt sich glänzend in dieses Ensemble ein, nicht zuletzt in den wenigen Stücken, die (beinah) das gesamte Instrumentarium nutzen – beispielsweise Ben Weikelts „Tale of an Effervescent Journey“, die der junge Komponist aus Eindrücken einer England-Reise collagiert hat.

Jenseits der erzählenden Programmmusiken sind es vor allem die älteren Schüler, die sich an abstraktere Konzepte heranwagen und das Instrumentarium in unkonventionelle, reizvolle Konstellationen gruppieren. Das gilt für Leonore Bichers ausgefeilte „Miniaturen“ genauso wie für das von Cedric Haß komponierte „Trio 3×3“ und Julius Balsukats folkloristisch inspiriertes Tongemälde „Stonehenge“. Wie es mittlerweile schon zur Tradition gehört, sind auch ein paar ,Gäste‘ im Konzertprogramm vertreten – diesmal der tschechische Kompositionsschüler Viktor Stocker mit seinem dynamischen „Phantom“ und die aus Argentinien stammende Lorena Torales Lisowsky mit drei kurzen Farbimpressionen.

Auf seine Moderation zum fulminant lebensbejahenden Stück „Viva la vida“ von Silas Geiert lässt Dirigent Milko Kersten einen berührenden Appell folgen, sich auch in diesen finsteren Tagen nicht der Musik zu verschließen, sondern sie beherzt denen entgegenzusetzen, die am liebsten alle (Klang-)Farben aus der Welt vertreiben würden. Diese Worte könnten nirgends auf fruchtbareren Boden fallen als unter den Kompositionsschülern von Silke Fraikin und Johannes Korndörfer – ihr Konzertprogramm macht wieder einmal große Lust auf mehr.

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