Das Echo der Äxte im Walde
Dresdner Neueste Nachrichten – Wieland Schwanebeck, 15.10.14
Jahreskonzert der Dresdner Komponistenklasse im Festspielhaus Hellerau
String Quartet, also: Streichquartett – das gibt es in der Konzertstadt Dresden eigentlich immer irgendwo. „Strings in Quartet“ aber, und dann auch noch von sieben (statt vier) Instrumentalisten dargeboten? Das Programmheft klärt auf: Der Komposition von Ión López Leal liegt die physikalische Stringtheorie mit ihren vier Komponenten zugrunde. Ein aus Dresdner Sinfonikern bestehendes Ensemble brachte unter Leitung Milko Kerstens im Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden im Festspielhaus Hellerau Musik von Komponisten zwischen 8 und 19 Jahren zur Aufführung, die unter Anleitung von Silke Fraikin und Johannes Korndörfer eigene Ideen aufs (Noten-)Papier bringen.
Der Konzerttitel „Teivazaré“ ist dem Beitrag von Marlene Roitsch entlehnt und lässt surreale, fantasievolle Gegenwelten und -klänge erwarten, und das gebotene Programm enttäuscht nicht – gerade die bereits älteren, auf viele Konzertaufführungen und preisgekrönte Arbeiten zurückblickenden Schüler beweisen Abstraktionsniveau und phänomenalen Gestaltungswillen: Vinzent Karl Zschuppe schichtet in seiner „Erbauung von Tieru“ virtuos einzelne Melodiebögen, Richard Kolm leitet seinen musikalischen Strom in „Treibholz“ mit sicherer Hand, während Jos Torge in „Styx“ gekonnt harmonische Elemente der Filmmusik mit eigenen Ideen verwebt.
In vielen Fällen genießt das Stammpublikum das Privileg, über Jahre individuelle Fortschritte verfolgen zu dürfen. Vor der freieren und gereiften Handhabung tradierter Harmoniekonzepte wie in den geschlossenen, präzise gearbeiteten „Vier Stücken“ Ole Janas oder dem mit einem spielerischen Fragezeichen versehenen „Ein Konzert (?)“ von Jan Arvid Prée steht häufig die fantasievolle, pointierte Erzählminiatur nach eigenen Geschichten: Mara Wiegleb lässt ein „Wachsendes Bäumchen“ sukzessive musikalisch erstarken, Hannah Katterfeld setzt mit ihrem „Frühlingstag“ einen lebendigen Akzent, und Alam Faust serviert einen amüsanten, seinen Großvätern gewidmeten Dialog zwischen Klarinette und Trompete. Carl Fantana vertont „Die Äxte im Walde“ ebenso wie das traditionelle Fußballspiel der Kruzianer, und Helene Scharfe schickt ihren früchteliebenden Hasen Blauzahn auf eine Reise nach Frankreich, die mit einem den Pariser Boulevards abgelauschten Akkordeonthema ein versöhnliches Ende findet. Überhaupt, die Instrumente und ihre Möglichkeiten: Die hingebungsvoll aufspielenden Musiker der Dresdner Sinfoniker finden sich nicht nur in ungewohnten Kombinationen (Akkordeon harmoniert glänzend mit E-Gitarre) gepaart, sondern auch über ihr gewohntes Aufgabenfeld hinaus gefragt, so etwa (wie in Cornelius Ackers Bratschensolo „Refugium“) als Perkussionisten, während Milko Kersten gewohnt witzig und intelligent den Spagat zwischen Dirigat und Moderation meistert.
Dass die meisten der jungen Komponisten nicht nur den multitaskfähigen Musiker fordern, sondern auf dem Weg zum Universalgenie selbst auch mehrere Tätigkeitsfelder beackern, hat in der Komponistenklasse ebenfalls Tradition: Ihre Schüler sind Sänger, Naturwissenschaftler, bildende Künstler (wovon die parallel zum Konzert ausgestellten Assemblagen, die unter Anleitung des Grafikers Hans-Ulrich Wutzler geschaffen wurden, Zeugnis ablegen) oder Dichter – so etwa Johannes Conrad, der mit seinem Stück „Loco Loodicoolo“ souveränen Umgang mit der Klangsprache des Jazz beweist. Als Sprecher glänzt Clemens Kersten, selbst ein ehemaliger Schüler der Komponistenklasse.
Wann schaffen die natürlich auch schulisch geforderten Komponisten all dies? Noch einmal das Programm: „als ich eigentlich Mathe-Hausaufgaben machen sollte.“ Desillusionierten Dresdner Arithmetik-Lehrern, die diese Zeilen lesen, sei im Lichte des Konzertprogramms dringend ans Herz gelegt, nicht zu verzagen – die Zeit wurde hervorragend investiert!