Fruchtbare Zusammenrottung
Dresdner Neueste Nachrichten – Wieland Schwanebeck, 4.1.17
Dresdner Künstler spielten ein Benefizkonzert für Syrien
Musik führt nicht nur die Menschen zusammen, sondern auch die Applaus-Kulturen, und diese können durch größere Gräben getrennt sein als Kulturräume und Nationen. Was den Klassik-Freund vom Jazz-Hörer oder vom Liedgut-Liebhaber trennt, merkt man erst so richtig, wenn ihr Klatsch-Ethos aufeinanderprallt: zwischen den einzelnen Titeln? Gar innerhalb eines Stücks? Oder erst, wenn der Taktstock fällt? Im gemeinsamen Applaus zu vereinen, was sonst aneinander vorbei klatscht, war nur einer der Erfolge des von der Dresdner Komponistin Silke Fraikin in der Dreikönigskirche organisierten großen Benefizkonzerts für die Syrien-Hilfe des arche noVa e.V. Dabei waren am Montagabend über 150 Ausführende aus allen erdenklichen musikalischen Sparten zusammengekommen, und knapp die Hälfte von ihnen frequentierte bereits in den ersten zehn Minuten die Bühne, als mehrere Dresdner Kinderchöre moderne Klassiker des spirituellen Gesangs anstimmten.
In der Folge wechselten sich Vokalstücke mit Instrumentals, Kammermusik mit Jazz-Improvisationen und Neuer Musik ab, tanzte Katja Erfurth (begleitet von Camillo Radicke am Klavier) zu Stücken Edvard Griegs und boten Henryk Böhm und Britta Schwarz (begleitet vom Dresdner Barockorchester) fabelhaft phrasierte Arien Bachs und Händels, die in ihrem sakralen Weihe-Charakter das Problem der Theodizee und die Ethik des christlichen Abendlandes nicht unberührt ließen: Der mit Christbaum geschmückte Altarraum der Dreikönigskirche vermittelte noch eine nachweihnachtliche Ahnung davon, dass unsere gesättigte Besinnlichkeit auf einer Erzählung von Gastfreundschaft fußt, der wir allzu häufig nicht gerecht werden. Diskret riefen auch einige Konzertstücke in Erinnerung, dass der Frieden in Europa mittlerweile schon viele Jahrzehnte hält, aber keine Selbstverständlichkeit ist: Die durch Marlene Dietrich und Zarah Leander berühmt gewordenen Chansons, die etwa die Dresdner Salondamen und die „erste Dresdner Bratschenzusammenrottung“ darboten, waren Kriegslieder, bevor sie als melancholische Postkarten ins Archiv wanderten.
Besonders erfreulich war, dass der Konzertabend nicht nur im Choral der guten Absichten zu predigen verstand, sondern Integration und kulturellenAustausch auch musikalisch vorlebte:Mit Augenzwinkern gilt das natürlich für so liebenswert schrullige Kultur-Hybridlinge wie die Jindrich-Staidel-Combo mit ihrem gewitztem Humtata-Esperanto, mehr noch aber für Thabet Azzawi, der u.a. bereits in der Dresdner Inszenierung „Morgenland“ im Kleinen Haus aufhorchen ließ. Azzawi trieb mit den selbstkomponierten Klängen seiner Oud nicht nur den Bassisten Tom Götze, sondern auch die famose Banda Internationale zu Höchstleistungen, die mit frenetischem Applaus quittiert wurden und zu den herausragenden Punkten des vierstündigen Konzertabends zählten.
Leisere Töne schlugen das Tilia Ensemble Dresden mit Chorsätzen, der Flötist Olaf Georgi mit Silke Fraikins nuanciertem Stück „Boote, Wind, Atem, Töne“ und der Geiger Florian Mayer an, der mit „Staub“ die allgegenwärtigen Bilder aus Aleppo zu einer berührenden lyrisch-musikalischen Collage verdichtete. Als über den Abend verteilte Appetithäppchen wurde zudem ein von Mitgliedern der Komponistenklasse Dresden angerührtes musikalisches „Köchelverzeichnis“ aus Miniaturen von Vorspeise bis zum magenschließenden Käse gereicht.
Neue Klänge gesellten sich zu Standards, und auch zu fortgeschrittener Stunde folgte das Publikum im ausverkauften Kirchensaal noch aufmerksam dem von Anna-Katharina Muck und Thomas Stecher moderierten Programm: dem Real Monday Night Long Island Ice Tea Jazzfanatics Orchestra ebenso wie der Ko-Produktion der Autorin und Performerin Nora Gomringer mit Günter „Baby“ Sommer, die Heinrich Heines vielzitierte „Nachtgedanken“ so sprachskeptisch wie gewitzt auf zeitgemäße Ideen abklopften.
Mit einem hinreißend von allen Beteiligten dahingeswingten, von Milko Kersten geleiteten „Tea for Two“ endete der Konzertabend, der einen wichtigen Beitrag für arche noVa e.V. (u.a. für den Betrieb syrischer Schulen) erbracht haben dürfte (DNN berichteten am 24.12.).
Sven Seifert, Chef des Vereins, wusste am Rande des Konzerts über den Fortgang vieler Projekte zu informieren und zeigte sich berührt vom Engagement der beteiligten Künstler. Wichtig war ihm aber vor allem auch die zum Zeitpunkt des Konzertes noch große Hoffnung, dass die Waffenruhe in Syrien halten möge…