Spiel mir das Lied von der Kaffeedosenharfe

Dresdner Neueste Nachrichten – Wieland Schwanebeck, 28.9.16

„Unerhörte Klänge“ beim Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden

Ach ja, die Neue Musik: In den großen Konzerthäusern immer noch eher in homöopathischen Dosen verabreicht, weil sich selbst hingebungsvolle Musikfreunde nur allzu selten gleich auf ein komplettes Konzertprogramm einlassen. Hätten die Herren der Zwölfton-Schöpfung zur Steigerung ihrer Beliebtheit beim Publikum vielleicht mal besser die „Schüttelfrau“, die „Kaffeedosenharfe“ und die „Strohhalmflöte“ erfunden, aber das haben nun an ihrer Stelle die 8- bis 16-jährigen Schüler der von Silke Fraikin geleiteten Komponistenklasse Dresden erledigen müssen. Diese trauten sich abermals mit einem abendfüllenden Programm neuer Kammermusik vor ihr Publikum; die vom Winsener Ensemble L’Art pour L’Art gespielten „Unerhörten Klänge“ waren nach der Chemnitzer Uraufführung nun auch im Festspielhaus Hellerau zu hören.

Nach dem großen Vorjahreserfolg mit dem gemeinsam komponierten Singspiel „Der Traum der Frisöse“ (das übrigens am 23. Oktober im Lipsius-Bau bereits seine sechste Aufführung durch die Serkowitzer Volksoper erleben wird) war das neue Konzert keinesfalls ein Selbstläufer – nicht nur, weil es zum Selbstverständnis der seit etlichen Jahren mit ihrem übebordenden Ideenreichtum begeisternden Klasse gehört, sich nicht zu wiederholen. Vorausgegangen waren dem diesjährigen Konzert Workshops (u.a. mit dem L’Art pour L’Art-Schlagzeuger Matthias Kaul), in denen die Schüler eigene Instrumente wie die oben genannten konstruierten (und die in der Konzertpause von den Baumeistern selbst vorgestellt wurden). Die dabei entstandenen Kompositionen, mit viel erzählerischer Chuzpe und entwaffnendem Humor umgesetzt, wie man es von den Konzerten der Klasse kennt, waren nuancierte Einladungen zum genauer Hinhören und stellten durchaus Ansprüche ans Publikum.

Viel Inspiration kam dabei aus dem Tierreich und der Natur, der sich die jungen Komponisten verbunden wissen. Auf Tom Seidels Ensemblestück „Der Karpfenteich“ (in dem ein „Brummholz“ den Klang der nahenden Hummel suggeriert) und den von Maleah Gilbert unter anderem mit Teekannen auf die Pirsch geschickten „Tiger in der Nacht“ (den Flötistin Astrid Schmeling abschließend mit hingebungsvollem Schnarchen in den Schlummer entlässt) folgte Mara Wieglebs minimalistisches und dennoch intensiv von Sabine Akiko Ahrendt dargebotenes Geigensolo „Das Aquarium“. Während Laura Fantana einen quicklebendigen „Morgen am 25. September“ beisteuerte, hielt das Programm gleich vier musikalische Spaziergänge bereit, die nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können: Während Carl Fantana mit sicherem Gespür für gotische Gruselelemente zum Gang durch den „Nebelwald“ einlud und Benedek Takács seinen charmanten „Spaziergang in Limbach“ mit Klangobjekten wie der selbstentworfenen Oboenflöte und einem mit Reis gefüllten „Regenrohr“ anreicherte, hatten etwas ältere Kompositionsschüler ein paar Seiten weiter im Atlas (und vielleicht auch in der eigenen Biographie) geblättert – „Monsieur Bonsoirs abendlicher Spaziergang“ durchs nächtliche Paris aus der Feder von Johannes Conrad hätte auch den stimmigen Soundtrack für eine wunderbare Jacques-Tati-Komödie abgeben können, und Helene Scharfes szenische Klangcollage „In der Wüste“ war ein beachtlicher Schlusspunkt des Konzerts. Frida Ponizil ließ sich von asiatischen Klangelementen inspirieren und spann auch Grundbausteine japanischer Philosophie kurzerhand zu „Ying, Yang, Yüng“ weiter; interaktiv wurde es bei Hannah Katterfelds pointiertem „Picknick im Sommer“, in das die Zuhörer als gummibärenkauende und geräuschvoll mit-schmatzende Choristen eingebunden wurden – derer multisensorische Aufgaben jenseits ihrer Kernkompetenz hatten die Instrumentalisten (außer den Genannten auch Nele B. Nelle, Michael Schröder, Julia Stegmann und John Eckhardt) noch so einige zu bewältigen; es gelang ihnen mit Bravour.

Typischerweise sind die Stücke der jüngeren Schüler geistreich erzählende Miniaturen, während ältere Schüler Stimmungsbilder auch ohne narrative Gerüste
entwerfen. Einen längeren musikalischen Atem bewiesen diesmal Vinzent Zschuppe, dessen „Kristalle in Licht und Dunkelheit“ von kompositorischer Virtuosität zeugten, aber auch Schüler der von L’Art pour L’Art selbst betriebenen Kompositionsklasse. Jasper Weißbachs „Entfernt gesagt“ und Anna Weißbachs „Pappus“ loteten mit viel Ausdauer die klanglichen Möglichkeiten des Ensembles aus, und Rebekka Homanns „Ähnlich ist nicht = gleich“ war eine schon fast philosophische Etüde, die das identische Szenario aus fünf verschiedenen Perspektiven hör- und
erlebbar machte.

Viel Applaus fürs Ensemble sowie für die von Silke Fraikin und Johannes Korndörfer betreuten Schüler, denen viele Folgeaufführungen beschert sein mögen. Wer weiß – vielleicht wird ja auch von der
Strohhalmflöte, vom Schüsselphon und vom Vibragili noch so einiges zu hören sein?

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